Samstag, 1. Mai 2010

Wirbelsturm und Flächenbrand «Je mehr Demokratie, desto gentechnikfreier»

Die Wochenzeitung "Zeit-Fragen":

Wer bis anhin geglaubt hat, dass mit genveränderten Organismen (GVO) der Hunger auf der Welt beseitigt werden könne, der muss unbedingt das Buch «Wirbelsturm und Flächenbrand» von Klaus Faißner zu seiner nächsten Lektüre machen.
Der Autor analysiert auf 150 Seiten das Zeitalter der Gentechnologie und wohin es führen wird. Gleichzeitig zeigt er auf, wie sich in immer mehr Ländern ernstzunehmender Widerstand bildet. Besonders in Europa sind im Gegensatz zu den USA die Äcker noch weitgehend frei von Gentechnik, und die EU, die immer gerne dem amerikanischen Vorbild folgt, spürt den zunehmenden Druck und Widerstand in der Bevölkerung. Dennoch, mit Gentechnologie, so wollen uns ihre Promotoren glaubhaft machen, kommt die Menschheit angeblich aus der Hungerkrise; mit Gentechnologie aus der Umweltkrise; mit Gentechnologie aus der Energiekrise und am besten noch mit Gentechnologie aus der Finanzkrise. Man hat, so soll uns glauben gemacht werden, ein Allerweltsheilmittel erfunden, mit dem die Probleme der Welt zu lösen seien.
Doch weit gefehlt. Klaus Faißner trägt erschreckende Fakten zusammen und belegt seine Äusserungen und Schlüsse mit genauen Quellenangaben. Er zeigt auf, wie in den Zulassungsverfahren für neue Produkte geschlampt wird. Der ganze Bereich ist ein riesiges Geschäft, und Firmen wie Monsanto, Dow Chemical und Syngenta, um nur ein paar zu nennen, verdienen sich mit unseriösen Methoden eine goldene Nase. Der Kampf um Patente nimmt groteske Formen an. In den USA, schreibt ­Faißner, hat Monsanto Patentanträge auf die Zucht von Schweinen gestellt und diese so formuliert, dass neben dem Anspruch auf einige tausend Genvarianten vom Schwein das Tier selbst mit eingeschlossen ist. Selbst natürliches Saatgut soll patentiert werden können, so beantragte Monsanto, und die Firma Pioneer/DuPont Patente auf asiatische Sojasorten und auf mexikanische Maissorten. Damit versucht man, den Ländern ihre ureigensten Grundnahrungsmittel zu rauben, um diese durch genmanipulierte Sorten zu ersetzen. Das Überleben ganzer Völker würde so von Biotech-Firmen bestimmt, deren einzige Motivation darin besteht, die Börsenkurse nach oben zu treiben.
Al Gore, Vizepräsident unter Bill Clinton und selbst Präsidentschaftskandidat der Demokraten, hat sich mit einem Film über die Klimakatastrophe zumindest bei der Chemieindustrie einen Namen gemacht. Nach ­Faißner hält er in seinen hochdotierten Vorträgen ein «Plädoyer für Biotreibstoffe und damit indirekt für die Gentechnik», denn genmanipulierte Pflanzen sollen zu höheren Erträgen und zu mehr Biotreibstoff führen. Kein Wunder, engagieren sich die Ölmultis massiv für die Herstellung von Biotreibstoffen. So kann man Gewinn aus beidem generieren und sich dabei noch das grüne Mäntelchen des angeblichen Naturschützers umhängen.
Welche Auswirkungen GVO auf Tier und Mensch haben, legt Faißner in verschiedenen Kapiteln dar. Offensichtlich wird hierbei, dass es in den meisten Fällen keine seriösen Abklärungen gibt – keine geben soll –, bevor man die Produkte auf den Markt bringt.
Dass die Frage nach der Entwicklung von GVO keine harmlose ist, ist auch eine Erkenntnis des 2008 veröffentlichten «Welt­agrarberichts», der auf die Gefahren und die nicht bewiesenen Vorteile von genmanipulierten Pflanzen hinweist: «Gentechnisch bewirkte Ertragssteigerungen sind bisher nicht nachzuweisen. Zur seriösen Bewertung der Umwelt- und Gesundheitsrisiken fehlen bisher Ergebnisse und Konzepte langfristiger Gesundheitsforschung.» (Broschüre «Wege aus der Hungerkrise. Die Erkenntnisse des Weltagrarberichtes und seine Vorschläge für eine Landwirtschaft von morgen», S.30, Kontaktadresse: verlag@bauernstimme.de) Wie Faißner sieht auch der Agrarbericht die Gefahr, dass der Anbau von Biosprit der Nahrungsmittelproduktion vorgezogen wird – was schon heute zu einer Explosion der Nahrungsmittelpreise geführt hat. Da dies meist in den Entwicklungsländern geschieht, sind es die Armen, die auch hierfür bluten müssen.
Faißner greift all diese Fragen auf und verweist dabei auf die unrühmliche Rolle der WTO. Sie hat mit ihrem Ziel der Totalliberalisierung einen erheblichen Anteil an dieser Ausbeutung.
Um die schleichende Einführung von genmanipuliertem Saatgut zu verhindern, braucht es Widerstand und umfassende Information der Bevölkerung. «Je demokratischer ein Staat, desto gentechnikfreier.» Der ehemalige Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, kritisiert sowohl die Einführung von GVO als auch den durch die WTO betriebenen Abbau des Nationalstaats: «Der Zerfall des Nationalstaates bringt den Zerfall des Gesellschaftsvertrags und die Atomisierung des Bürgers mit sich. Nicht zuletzt geht die Aufklärung zu Ende: Die republikanische Staatsform lebt ja vom souveränen Bürger, von den Grundwerten der Volkssouveränität, der Regierung durch Delegation. Wenn die Regierung keine Macht mehr hat, bleibt auch der Bürger ohnmächtig dem Raubtierkapitalismus ausgeliefert.» («Junge Freiheit», 9.8.2002)
Faißner betont, dass gerade in der Schweiz auf Grund der direkten Demokratie die Bevölkerung ein kommerzielles Anbauverbot durchsetzen konnte, und sieht in der aktiven Bürgerbeteiligung die Chance, dieser unsäglichen Entwicklung ein Ende zu bereiten.
Wer das Buch zur Hand nimmt, legt es erst wieder weg, wenn er die letzte Seite erreicht hat. •

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