Mittwoch, 7. Dezember 2011

Gentechnikland Österreich?

von Klaus Faißner

"In der Risikoforschung könnten wir weltweit Nummer eins werden."



Trotz starker Vorbehalte in der Bevölkerung wird an Laborpflanzen für die Landwirtschaft geforscht

Umweltschützer-Aktion, um Pollenflug von einem Genmaisfeld zu verhindern. © APA

Ein Mitarbeiter der Uni Graz brachte es Mitte Juli, für viele überraschend, ans Tageslicht: In Österreich wird eifrig an der Agro-Gentechnik geforscht - wenn auch in Glashäusern. Er wies in einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Graz darauf hin, dass am Institut für Pflanzenwissenschaften eineinhalb Jahre illegal gentechnisch veränderte Raps-, Tomaten-, Tabak- und Ackerschmalwand- beziehungsweise Arabidopsis-Pflanzen angebaut wurden, die Fenster über Monate immer wieder offen standen und eine Windverfrachtung des Pollenmaterials "bereits erfolgt" sei.


Laut Pressestelle der Uni Graz wurden daraufhin lediglich die wenigen Rapspflanzen und ein Drittel aller anderen genmanipulierten Organismen zerstört, der Rest wachse nach dem Zurückschneiden weiter. Ob es zu Schäden in der Natur gekommen ist, werde nicht untersucht.

Wie sieht es mit dem Ausmaß der Gentechnik-Forschung, die noch dazu vielfach vom Steuerzahler finanziert wird, für Acker und Teller in Österreich aus? Hier lägen keine Zahlen vor, heißt es aus dem Wissenschaftsministerium, da der Begriff Agro-Gentechnik "im Gentechnikgesetz nicht verwendet wird". Auch Schätzungen über das Forschungsvolumen sind nur schwer zu erhalten. So meint ein - zum Thema kritisch eingestellter - Experte, dass in den vergangenen 20 Jahren "wahrscheinlich über 100 Millionen Euro" öffentliche Gelder in die Agro-Gentechnik und damit "in die Grundlagenforschung für multinationale Konzerne" gepumpt wurden. Aktuell laufen Agro-Gentechnikprojekte zumindest an der Boku Wien, am Biotechnologiezentrum Wien, am Universitäts- und Forschungszentrum Tulln und eben in Graz.

"Alle lachen uns aus"
Seit 20 Jahren in der Agro-Gentechnikforschung tätig ist Margit Laimer Da Camara Machado vom Institut für Angewandte Mikrobiologie an der Boku Wien. Als positive Ergebnisse der Gentechnik-Forschung hierzulande sieht sie zum Beispiel die Entwicklung virenresistenter Obstbäume, stärkehaltiger Kartoffelsorten oder sogenannter Pharma-Pflanzen, die Antikörper gegen das HI-Virus entwickeln. Aufgrund der allgemein restriktiven Haltung in Österreich sei es allerdings unmöglich, Genehmigungen für kleine Freisetzungsversuche zu erhalten. Das Ganze sei mit Trockenschwimmen zu vergleichen. "Wir sind das einzige Land im ganzen EU-Vergleich. Alle anderen lachen uns aus", so Laimer.

"Wenn gentechnisch veränderte Pflanzen in der Natur ausgebracht werden, sind sie nicht mehr rückholbar, und sie vermehren sich", hält Alberta Velimirov entgegen. Sie war bis vor kurzem am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL) in Wien tätig und wirkte an einem der aufsehenerregendsten Gentechnik-Versuche der vergangenen Jahre mit. Um ausreichend Forschungsgelder für diesen Bereich zu generieren, müsste dem Wunsch der Bevölkerung nach Gentechnikfreiheit entsprochen werden.

Dies würde bedeuten, sich auf die Erforschung der Risiken der Gentechnik zu konzentrieren: "Wir könnten auf diesem Gebiet weltweit die Nummer eins werden." Das große Problem sei aber, dass es bisher fast unmöglich sei, wissenschaftlich erfasste Risiken der Gentechnik zu präsentieren, ohne Repressalien zu fürchten. "Die Wissenschafter sollten sich zusammentun und auf angemessenem Niveau diskutieren, ohne unter die Gürtellinie zu gehen", so Velimirov.

Studie unter Verschluss
Im Oktober 2008 präsentierte das Gesundheitsministerium eine Studie über die Auswirkungen der Verfütterung von Genmais. Die mit Genmais gefütterten Versuchstiere waren bereits ab dem dritten Wurf weniger fruchtbar als die gentechnikfrei gefütterte Kontrollgruppe. Es stellte sich jedoch heraus, dass die statistische Auswertung fehlerhaft war. Die Studie wurde zurückgezogen und bis heute nicht publiziert, obwohl Studienautorin Alberta Velimirov sie inzwischen überarbeitete. Diese Leistung müsste aber insbesondere von Studienleiter Jürgen Zentek erbracht werden, heißt es aus dem Ministerium. Doch dieser signalisierte nach seiner Übersiedlung an die Universität Berlin, kein Interesse mehr zu haben. Velimirov schlägt einen Ausweg vor: Internationale und von der Industrie unabhängige Wissenschafter sollten ihre Korrekturen überprüfen, sodass es doch noch zu einer Veröffentlichung kommen kann. Der Ball liegt nun beim Ministerium.

Veröffentlicht auch in der Wiener Zeitung.

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